Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Frau Regierungspräsidentin
Werte Unternehmerinnen und Unternehmer des Rheintals
Sehr geehrte Gäste

Es freut mich, dass Sie so zahlreich ans Rheintaler Wirtschaftsforum gekommen sind. Die Halle ist ausverkauft. Das ist sicher nicht nur wegen mir. Aber vielleicht ein bisschen schon, und das freut mich sehr. Es ist ein kleines Jubiläum heute: Die 30. Ausgabe. Ich gratuliere Ihnen herzlich dazu.

30 Jahre - ist das viel? Wenn Sie einen jungen Schweizer nehmen, der heute 30 Jahre alt ist, wird er fast ein Drittel seines Lebens damit verbracht haben, Guy Parmelin im Bundesrat zu sehen! Das relativiert den Zeitbegriff: Für ihn mag es eine Ewigkeit gewesen sein, aber für mich waren diese fast zehn Jahre nur eine Aufwärmphase!

Auch die Entfernung ist etwas Relatives. So liegt das Rheintal in den Augen eines einfachen Waadtländers am anderen Ende der Schweiz. Aber für einen Waadtländer Winzer wie mich ist das Rheintal in erster Linie eine vertraute Region, eine gemeinsame Kultur, ein naher Verwandter, fast ein Bruder. Ich freue mich also, heute so zu sagen im Kreise meiner Familie zu sein.

Nun, Sie haben mich nicht als Winzer oder Landwirtschaftsminister hierher eingeladen, sondern in meiner Funktion als Wirtschaftsminister. Und Sie möchten wissen, wie wir den Wirtschaftsstandort Schweiz attraktiv machen und halten.

Selten war diese Frage so aktuell wie heute. Denn die Zeiten, in denen wir leben, sind unsicher wie nie zuvor. Nach einer Gesundheitskrise kam es vor zwei Jahren zum Krieg in der Ukraine und zu einer Energiekrise. Daraus ist weltweit eine komplexe geopolitische Dynamik entstanden, die erhebliche Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit hat.

So ist die Welt mit einer ungewöhnlichen Häufung von Krisen konfrontiert. Wir stehen einer fragmentierten Weltpolitik und einer Tendenz zur Blockbildung gegenüber. Die seit dem Zweiten Weltkrieg bestehende internationale Ordnung wird dadurch schwer erschüttert.

Das alles hat politische Auswirkungen auf Europa, ja weltweit:

Mit den anstehenden Wahlen zeigt sich Deutschland im Moment von einer instabilen Seite.
Die siebte Regierung unter Präsident Macron ist in einer weiteren prekären Koalition, und Frankreich hat immer noch kein Budget für 2025.
Österreich sieht sich vor der Situation, dass die FPÖ vor den Türen des Kanzleramts steht.
Belgien hat sieben Monate nach den Wahlen immer noch keine Bundesregierung.
Eine weitere Koalition aus Rechten und Rechtsextremen hat in den Niederlanden in einem schwierigen politischen Klima die Kontrolle übernommen.

Schauen wir nach Übersee:

Kanada verliert seinen Premierminister vor dem Hintergrund einer beispiellosen politischen Krise.
Und - last but not least - gibt uns ein der neue amerikanische Präsident Donald Trump bereits einen explosiven, wenn auch nicht völlig unerwarteten Vorgeschmack auf das, was seine Präsidentschaft ab Montag sein mag.

Diese Realitäten stellen die Schweiz vor neue und zugleich heikle Entscheidungen, zumal sich die Paradigmen weiterentwickelt haben:

Die Kooperationsbeziehungen haben sich entlang klarerer Linien zwischen „like-minded" Staaten definiert.
Die Rolle des Staates ist in vielen Teilen der Welt durch den Ruf der vox populi gestärkt worden. Dieser Trend ist auch in der Schweiz zu beobachten, und zwar bis in unsere liberale Wirtschaft hinein.
Schliesslich wurden und werden die Beziehungen unseres Landes zur EU und zur NATO angesichts der sicherheits-politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen ernsthaft in Frage gestellt.

Wir können es nicht leugnen: Die Schweiz steht unter einem gewissen internationalen Druck, und kein Land befindet sich gerne in dieser Position.

Als Bundesrat, der für die Schweizer Wirtschaft, aber auch für die Bildung und Forschung zuständig ist, bin ich gut positioniert, um diese Herausforderungen und ihre Auswirkungen abzuwägen. Geleitet werde ich dabei vom Gedanken, unsere Stärken in dieser instabilen Welt zu fördern: die Stärken eines innovativen, unabhängigen, neutralen und agilen Landes.

Meiner Ansicht nach ist eines unserer wichtigsten Instrumente für die bilaterale Zusammenarbeit nach wie vor unser akademisches Umfeld. Das ist ein äusserst wirksames Umfeld und von sehr hohem Wert. Die Qualität des Unterrichts an unseren Hochschulen begünstigt deshalb die Zusammenarbeit mit den besten Universitäten der Welt, z. B. in Grossbritannien und den USA.

Ich halte die Wissenschaft für ein äusserst wertvolles Instrument der Diplomatie. Aus diesem Grund bemühe ich mich, neue Zusammenarbeitsformen im akademischen Bereich durch die Unterzeichnung von Memorandums of Understanding zu formalisieren. Solche Vereinbarungen öffnen die Tür zu einer starken und dauerhaften Zusammenarbeit mit unseren ausländischen Partnern, und sie sichern unseren Forschenden den Zugang zu führenden internationalen Institutionen.

In den letzten drei Jahren hat die Schweiz solche Absichtserklärungen mit den USA, dem Vereinigten Königreich, Kanada, Südkorea, Japan, Spanien, Frankreich, Dänemark und erst kürzlich mit den Niederlanden unterzeichnet. Dieses Netzwerk ist der Nährboden für eine Vielzahl gemeinsamer Forschungsprojekte und trägt dazu bei, unsere internationalen Verbindungen und unsere eigene wissenschaftliche Glaubwürdigkeit zu stärken.

Vor kurzem habe ich die Innovation als wichtigste Stärke unseres Landes genannt. Das ist eine Selbstverständlichkeit, aber kein Selbstläufer. Wir müssen die Innovation mit Sorgfalt behandeln. Dazu müssen wir ein erstklassiges Ausbildungssystem aufrechterhalten, unseren Start-up-Unternehmen ein attraktives Umfeld bieten und Innovationen schützen. Geistiges Eigentum ist das wahre Vermögen eines Unternehmens.

Was macht unseren Wirtschaftsstandort attraktiv? Neben der Bildung, Forschung und Innovation geht es vor allem auch um folgendes:

Wir sollten nicht den Nachbarländern nacheifern und den Sirenen der Industriepolitik nachgeben. Wir wollen keine Politik nach dem Giesskannenprinzip, keine Politik ohne Visionen und Zukunft.

Wir müssen das Unternehmertum und die Eigenverantwortung fördern.

Auf der Ebene des Handels müssen wir das gleiche Netzwerk entwickeln wie in der Forschung. Das ist der Sinn der Freihandelsabkommen, die wir unermüdlich verhandeln und aktualisieren. Ich will hier nicht alle Abkommen aufzählen, die derzeit in Arbeit sind, aber das Abkommen, das wir mit Indien unterzeichnet haben, ist ein Musterbeispiel seiner Art. Es hat 16 Jahre gedauert, bis wir diesen Erfolg sichern konnten. Es steht auf einem soliden Fundament, das von gegenseitigem Respekt, Willen und Kreativität geprägt ist. Es ist ein Musterbeispiel, das alle unsere künftigen Abkommen inspirieren könnte und sollte.

Sie wissen es, die Verhandlungen mit der EU sind materiell abgeschlossen. Die Texte werden nun juristisch geprüft, der Bundesrat wird sie anschliessend in eine breite Vernehmlassung schicken. Ich kann deshalb hier nur betonen, dass die EU für uns unseren Wirtschaftsstandort natürlich ein wichtiger Partner ist. Aber unabhängig von gutnachbarschaftlichen Beziehungen muss ich daran erinnern, dass die EU nicht unser einziger Partner ist - und auch nicht sein sollte. Die Schweiz wird nur dann erfolgreich sein, wenn sie ihre Handelsbeziehungen diversifiziert und den Horizont erweitert.

Ich habe zu Beginn meiner Ausführungen die Neutralität erwähnt. Für einige unserer Landsleute ist sie in dem zuvor beschriebenen Kontext zu einem Tabuwort geworden. Wir müssen uns jedoch darüber im Klaren sein, dass Neutralität nicht bedeutet, dass wir uns nicht engagieren wollen, und schon gar nicht, dass es uns an Mut mangelt. Im Gegenteil, sie ist eine Garantie für Objektivität und eine natürliche, institutionelle und verfassungsrechtliche Bestimmung für die Mediation. In den schwierigen geopolitischen Zeiten, in denen wir leben, nehme ich die Neutralität umso positiver wahr. Je mehr Krisen es gibt, desto mehr Mediatoren werden benötigt.

Diese Ansicht entspricht meiner tiefen Auffassung von der Rolle und Positionierung der Schweiz. In den letzten zwei Jahren war diese Ansicht jedoch nicht immer vorherrschend, ins-besondere, als sich die Frage der Ausfuhr von Rüstungsgütern stellte. Die Position der Schweiz stiess bei ihren Partnern auf Unverständnis. Aber ich stelle fest, dass sich die Meinungen in dieser Hinsicht geändert haben und dass die Herausforderungen der Neutralität heute für die internationalen Akteure klarer sind und weitgehend akzeptiert werden.

Dies, meine Damen und Herren, sind die wenigen Ausführungen, die ich mit Ihnen zu dem vorgeschlagenen Thema teilen wollte. Sie werden verstehen, dass wir uns bei all diesen Themen in einer Schaffensphase, einer Evolution befinden.

Aber die Politik ist selbst ein evolutionäres Werk, und ich freue mich, dabei noch ein paar Jahre mitwirken zu können, um meine Lösungsvorschläge einzubringen. Ja, Sie haben richtig gehört, noch ein paar Jahre. Und falls es Journalisten im Saal gibt - ich sage jeweils, dass mein diplomatischer Pass bis 2029 gültig ist.

„Der beste Weg, die Zukunft vorherzusagen, ist, sie selbst zu gestalten". Dieses Zitat wird dem ehemaligen amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln zugeschrieben, aber auch dem ehemaligen deutschen Bundeskanzler Willy Brandt. Wer auch immer es sagte: mir gefällt das Zitat sehr gut. Die Zukunft selbst gestalten. Das vermeidet unnötige Mutmassungen, Angst und Passivität.

In diesem Sinne kann ich uns nur ermutigen, die mathematische Formel für Erfolg, wie sie in einem Schaukasten der Universität St. Gallen hängt, zu übernehmen:

«Erfolg ist Probieren im Quadrat geteilt durch Scheitern.»

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen viel Erfolg, ein gutes Jahr 2025, und ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Standort Schweiz – wie halten wir unseren Wirtschaftsstandort attraktiv?