Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Stellvertretende Generalsekretärin,
Exzellenzen,
Meine Damen und Herren,

Vor einem Monat habe ich hier an der UNO mit dem UNO-Generalsekretär einen Austausch mit hochrangigen afghanischen Mediatorinnen zur Gestaltung der Zukunft Afghanistans präsidiert.

Mir geht nicht aus dem Kopf, wie eine von ihnen gesagt hat: «Mit 27 Jahren hatte ich mich bereits für die Zukunft Afghanistans eingesetzt – jetzt bin ich 67 und tue das immer noch. Es scheint, als stünden wir wieder am Anfang.»

Bei derselben Veranstaltung wies die Schauspielerin Meryl Streep darauf hin, dass Frauen in der Schweiz noch keine politischen Rechte hatten, während sich Frauen in Afghanistan bereits politisch beteiligen konnten.

Und heute präsidiere ich den UNO-Sicherheitsrat als Präsidentin der Schweiz – in derselben Generation wie diese afghanische Friedensfrau.

Fortschritte sind möglich, und sie sind notwendig. Aber die Geschichte verläuft nicht linear, sie ist nie am Ziel und erfordert unser ständiges Engagement.

Vor fast 30 Jahren war die Entwicklung zunächst eindrücklich, als sich die UNO-Mitgliedstaaten in der Bejing Declaration and Platform for Action zur Geschlechtergleichstellung bekannten.

Auch der Sicherheitsrat verabschiedete vor 24 Jahren die visionäre Resolution 1325: Der Rat anerkannte erstmals nicht nur das Recht von Frauen zur gleichberechtigten Teilhabe an Friedensprozessen, sondern auch die Notwendigkeit ebendessen.

Er anerkannte, dass die internationale, nationale und lokale Ebene zusammenarbeiten müssen, um Frieden zu schaffen.

Exzellenzen
Meine Damen und Herren

Heute, mehrere Jahrzehnte später, sind diese Beschlüsse ungenügend umgesetzt. Der Trend zeigt deutlich in die falsche Richtung: So nimmt die Beteiligung von Frauen an Friedensprozessen ab, während die Gewalt gegen Frauen und Mädchen dramatisch zunimmt - vermehrt auch online.

Als Frau, die seit über dreissig Jahren politisch tätig ist, frage ich mich: Was können wir tun, um das zu ändern?

Diese Frage stand auch im Zentrum einer Retraite, welche die Schweiz diesen Sommer mit Mediatorinnen aus der ganzen Welt organisiert hat.

Drei Kernerkenntnisse daraus scheinen mir für unsere Arbeit besonders relevant:

Erstens: Ich spreche heute zwar als Präsidentin zu Ihnen, aber vor zwanzig Jahren stand ich einer Gemeinde von 12'000 Einwohnerinnen und Einwohnern vor. Ich weiss aus eigener Erfahrung, dass es für wirkungsvolle Politik Frauen auf allen Ebenen braucht.

Die erste Kernerkenntnis ist deshalb: Frauen müssen in Friedensprozessen gleichberechtigt mitsprechen und mitentscheiden können. Sei dies auf dem Dorfplatz oder in der Hauptstadt, in der Öffentlichkeit oder hinter geschlossenen Türen.

Sie müssen selber am Verhandlungstisch sitzen, dort, wo die Entscheidungen getroffen werden. Lassen Sie uns dies mit Nachdruck einfordern, damit Frauen nicht an «Nebentischen» landen.

Zweitens sehe ich gerade auch als Verteidigungsministerin zu oft, dass irgendwann gegen Ende eines Entscheidungsprozesses plötzlich jemand an die Frauen denkt, eine Türe für sie öffnet – und erstaunt ist, dass dahinter niemand wartet.

Dem entspricht die zweite Haupterkenntnis: Inklusive Friedensprozesse beginnen lange, bevor die Waffen schweigen. Es geht darum, Konflikte mit der spezifischen Expertise von Frauen zu analysieren.

Expertinnen muss man früh finden und einbinden, von Verfassungsrechtlerinnen über Ökonominnen bis zu Peacekeeperinnen. Ich sage bewusst finden - denn diese Frauen gibt es – es braucht aber den politischen Willen und die Ressourcen, sie zu suchen.

Mehr Sichtbarkeit bedeutet schliesslich für Frauen oft auch mehr Risiko.

Das bringt mich zu meinem letzten Punkt: Wir müssen die Rechte von Frauen besser schützen, damit sie sich sicher politisch engagieren können.

Ich bin entsetzt, dass Frauen und Mädchen heute noch systematisch mit Anfeindungen, Einschüchterungen und Gewalt konfrontiert sind, ob auf höchster politischer Ebene, im lokalen oder gar im persönlichen Umfeld.

Auch hier hat der technologische Fortschritt eine Kehrseite: Frauen werden an digitale Pranger gestellt, und künstliche Intelligenz macht Diffamierungen einfacher.

Exzellenzen
Meine Damen und Herren

Aus der Forschung wissen wir: Wenn ein Friedensabkommen Frauen und die für sie besonders relevanten Themen einbezieht, steigt die Wahrscheinlichkeit um 30 Prozent, dass es 15 Jahre oder länger hält. 15 Jahre oder länger – das ist fast eine Generation, das ist eine Kindheit in Frieden!

Wir haben also allen Grund, in die Teilhabe von Frauen zu investieren. Wir verfügen zudem über ein starkes normatives Fundament mit zehn Sicherheitsratsresolutionen sowie über die Expertise und das Engagement von Frauen, die sich bis auf die höchste politische und diplomatische Ebene für den Frieden einsetzen.

Damit wir nächstes Jahr, zum 25-jährigen Bestehen der Resolution 1325, auch tatsächlich Grund zum Feiern haben, braucht es jedoch noch viel mehr politischen Willen der Weltgemeinschaft.

Der UNO-Generalsekretär lädt uns ein, diesen politischen Willen in Form von Pledges zu bekunden. Ich will seiner Einladung folgen und verspreche, dass die Schweiz diesen Pledge umsetzt und in ihren Mediations- und Friedensbemühungen die volle, gleichberechtigte und wirkungsvolle Teilhabe von Frauen in Friedensprozessen fördert und verstärkt.

Exzellenzen
Meine Damen und Herren

Ich lade die Mediationsakteure ein, den Pledge ebenfalls zu unterzeichnen und damit den Willen kundzutun, die Frauen, Frieden- und Sicherheits-Agenda zu stärken.

Wir haben diesen Monat viele junge Friedensaktivistinnen hier im Saal gehört. Ich bin froh, dass es diese jungen Frauen gibt, die uns Hoffnung machen, weil sie als mutige Leaderinnen den Weg zu einer friedlicheren Welt ebnen wollen.

Wir haben für diese jungen Friedensfrauen und für die neue Generation an Mediatorinnen und Mediatoren im Vorfeld dieser Debatte Briefe von erfahrenen Mediatorinnen gesammelt.

Ich habe sie Ihnen heute mitgebracht und hoffe, sie dienen auch Ihnen als Inspiration und als Anstoss, das Engagement für Frauen, Frieden und Sicherheit konsequent weiter zu führen.

Ich danke Ihnen.

Rede von Bundespräsidentin Viola Amherd an der offenen Debatte des UNO-Sicherheitsrates zu Frauen in Friedensprozessen