Ohren überall und für alles: Software Defined Radio
Funkgeräte benutzen wir täglich in verschiedenster Form. Sie ermöglichen uns, ohne lästige Kabel mobil und ortsunabhängig zu kommunizieren. Doch was können Funkgeräte der Zukunft sonst noch alles für uns tun? Denn längst hat die Digitalisierung auch in die Welt der Funksignale Einzug gefunden. Damit eröffnen sich im elektromagnetischen Raum ganz neue Möglichkeiten.
Dr. Christof Schüpbach, Fachbereich Kommunikation und elektromagnetischer Schutz, Kompetenzbereich Wissenschaft und Technologie

Die Vorzüge der drahtlosen Kommunikation nutzen wir heute ständig und ausgiebig. Sei es mit dem Smartphone, dem Computer oder der Smartwatch: wir können im Internet surfen, uns die neusten Videos und Bilder in den sozialen Medien anschauen oder die Daten der Wetterstation im Garten abrufen. Dabei kommen die unterschiedlichsten Funksignaltypen, Funktechnologien und Standards wie beispielsweise WiFi, 4G, 5G oder Bluetooth zum Einsatz. Wie all dies miteinander kompatibel ist, muss uns im Alltag kaum kümmern. Doch was, wenn wir nun einen neuen Standard beherrschen, gewissermassen eine neue Funksprache sprechen wollen?
Neuer Signaltyp dank Softwareupdate
Die gängigen Funktechnologien wie WiFi oder Mobilfunk funktionieren meist auf Elektronikchips, die in unseren elektronischen Geräten fest verbaut sind. Diese Chips verstehen also lediglich ihre eigene Sprache, beziehungsweise ihren eigenen Funkstandard. Um einen neuen oder anderen Funkstandard benutzen zu können, muss also die gesamte Hardware erneuert werden. Kurz gesagt: wir müssen uns ein neues Gerät kaufen. Doch was wäre, wenn dafür bereits ein Softwareupdate genügen würde? Genau dies ist möglich mit sogenannten Software Defined Radios, kurz SDR. Wie es der Name sagt, ist hier das Funkprotokoll in einem Softwareprogramm eingebaut. Das bedeutet, dass die gesendeten und empfangenen Signale mittels einer Software verarbeitet werden. Daher kann ein Funkprotokoll beliebig angepasst und ausgetauscht werden, ohne die Hardware auswechseln zu müssen.
Dies hat natürlich viele Vorteile. Allen voran verlängert sich dadurch die Lebensdauer des Gerätes. Auch lässt sich dasselbe Gerät für verschiedene Anwendungen einsetzen. Man kann so beispielsweise mit unterschiedlichsten Funksystemen kommunizieren, Objekte mittels Radarmethoden detektieren oder an dere Funksysteme aufklären. Dies ist für das Militär besonders attraktiv, da oft wenig Platz, Gewicht und Energie für viele unterschiedliche Systeme zur Verfügung stehen.
Kooperative Kommunikation
In herkömmlichen Funknetzen kann jeweils nur ein Sender zur gleichen Zeit und auf derselben Frequenz eine Nachricht an einen Empfänger schicken, sonst würden sich die Signale verschiedener Quellen gegenseitig stören. Im Gegensatz dazu werden in modernen kooperativen Kommunikationsnetzen diese gegenseitigen Störsignale, auch Interferenz genannt, bewusst zugelassen und gewinnbringend ausgenutzt. Dabei übertragen mehrere Stationen parallel Nachrichten zu mehreren Empfängern gleichzeitig und auf denselben Frequenzen. Die unerwünschten, störenden Signalanteile werden durch eine geschickte Codierung ausgelöscht und gleichzeitig die erwünschten Singalanteile von mehreren Quellen so überlagert, dass sie sich verstärken. Wenn also während einer Übertragung eine Sendestation ausfällt oder das Funksignal abgelenkt oder gedämpft wird, erreichen die Signale der anderen Quellen die Empfänger trotzdem und die Übertragungen laufen ohne Unterbruch weiter. So merken die Empfänger gar nicht, dass eine Sendestation ausgefallen oder nicht mehr erreichbar ist. Durch diesen sogenannten Diversitätsgewinn können im Vergleich zu herkömmlichen Funknetzen die Reichweite, die Datenübertragungsrate sowie die Anzahl Nutzer, die bedient werden können, drastisch erhöht werden. Die Netze werden so viel effizienter. Die neuen Funkgeräte, die das Schweizer Militär künftig einsetzen möchte, sind ebenfalls SDRs und werden in Zukunft vielleicht auch Algorithmen verwenden können, die zur Zeit erst noch in den Forschungsprojekten untersucht werden.
Passivradar
Ein Passivradar verwendet Rundfunksignale, um Echos von Flugzeugen zu detektieren. Dies wird möglich dank SDR-Empfänger und viel Rechnerleistung. Die Technologie untersuchen wir in unserer Forschung mithilfe des selbst entwickelten abgebildeten Demonstrators, mit dem wir auch schon an internationalen Kampagnen im Rahmen von NATO/PfP Forschungsaktivitäten teilgenommen haben.
Millionenfache Messung des Signals
Ermöglicht wird SDR durch immer leistungsfähigere Elektronikkomponenten. Diese sind dazu in der Lage, Funksignale kurz nach deren Eintreffen auf eine Antenne zu digitalisieren. Diese Analog-Digital-Wandler vermessen das Signal mehrere Millionen bis Milliarden Mal pro Sekunde und wandeln es in eine Folge von Zahlen um. Die Zahlenfolge wird anschliessend von einem digitalen Prozessor wie beispielsweise einem herkömmlichen Computer beliebig verarbeitet. Erst dadurch ist es möglich, beispielsweise Bilder oder Videos zu übertragen. Da die Rechenkapazität bei solchen Prozessoren ebenfalls immer grösser wird, lassen sich auch sehr komplexe Algorithmen umsetzen. Dies ermöglicht völlig neue Kommunikationsverfahren, die in rein analoger Form, wie sie in älteren, herkömmlichen Funksystemen vorkommt, nicht möglich sind.
Jeder kann ein Funkgerät abhören
Mittlerweile gibt es auf dem Markt eine Menge verschiedener SDR-Geräte in allen Preis- und Leistungsklassen. Als Amateur kann man bereits für 20 Franken einen kleinen Empfänger kaufen und damit eine Vielzahl von Funksignalen empfangen und decodieren. So wäre es etwa mit wenig Aufwand jeder Person möglich, einen Flugfunkspruch abzuhören oder Pager-Nachrichten zu decodieren.
Professionellere Geräte sind natürlich deutlich teurer, können aber dafür auch wesentlich mehr leisten. Sie haben oft eine enorme Abtastgeschwindigkeit und können Signale auf unterschiedlichste Arten und bei Bedarf von mehreren Antennen gleichzeitig erfassen. Letzteres ermöglicht zum Beispiel, dass damit auch die Einfallsrichtung eines Signals bestimmt werden kann, was für Aufklärungs- und Radaranwendungen grosses Potential bietet.
Herausforderungen
Obwohl diese SDR-Geräte in grosser Vielfalt erhältlich sind, ist es noch nicht immer ganz einfach, sie zu verwenden. Denn es gibt bisher keine Standards bei den Schnittstellen zwischen einem Funkgerät und der Prozessoreinheit. Dadurch muss oftmals die Software geändert werden, wenn ein anderes SDR-Gerät verwendet wird. Auch führen die hohen Datenraten dazu, dass die Signale häufig nicht von herkömmlichen Computerprozessoren verarbeitet werden können, sondern sehr spezialisierte Prozessoren zum Zug kommen. Diese sind wiederum viel schwieriger und aufwändiger zu programmieren.
Viele Forschungsaktivitäten im Zusammenhang mit SDR
Bereits heute sind die neusten Funksysteme softwaredefiniert und in Zukunft wird es wohl immer weniger herkömmliche Funksysteme mit einer fest vorgegebenen Funksprache geben. Nicht nur deshalb, sondern auch weil SDR-Geräte viele neue Messungen ermöglichen, beschäftigen sich Mitarbeitende des armasuisse-Forschungsprogramms «Kommunikation» in vielen Projekten mit der SDR-Technologie. Zum Beispiel untersuchen sie neue Funksignaltypen für zukünftige Funkstandards oder schauen sich komplexe Techniken zum Verarbeiten von Signalen an, die eine kooperative Kommunikation ermöglichen, oder sie verwenden Kommunikationssignale zum Detektieren von Flugzeugen. Gerade die Möglichkeit, mehrere Dinge gleichzeitig mit dem gleichen Gerät zu tun, ist besonders attraktiv für das Militär. In der Summe können die Resultate aus den einzelnen Forschungsergebnissen helfen, das folgende Zukunftsszenario zu realisieren.
Funkgerät der Zukunft: Ohren für alles
Stellen sie sich ein zukünftiges Funkgerät vor. Äusserlich wird es sich wahrscheinlich nicht sehr von dem unterscheiden, was man heute schon kennt. Doch anders sieht es im Innern aus. Wenn das Gerät nicht gerade kommunizieren muss, wird es ständig das elektromagnetische Spektrum scannen und etwa laufend die Ausbreitungsbedingungen für die Funksignale messen, fremde Signale erkennen und klassifizieren, erkennen, welche Frequenzen nach welchen Mustern belegt sind, fremde Funksprüche abhören und mit Spracherkennung nach gewissen Wörtern suchen. Schliesslich wird es zusätzlich noch in Rundfunksignalen Echos von Flug- und Fahrzeugen detektieren.
Einerseits lässt sich damit die Qualität der Funkkommunikation deutlich verbessern. Dies, weil sich das Gerät jederzeit an die Umgebung anpassen und automatisch den richtigen Signaltyp und die richtige Frequenz wählt. Andererseits liefert solch ein Gerät dem Soldaten und dem ganzen Systemverbund wichtige Zusatzinformationen, die das gesamte Lagebild stark verdichten können. Beispielsweise kann es den Soldaten warnen, wenn Signale von Drohnen aufgespürt oder fremde Funkgeräte in der Nähe sind. Oder das Gerät schlägt Alarm, wenn über Funk bestimmte Wörter gesagt werden. Und nebenbei leitet es laufend alle Informationen an diverse Stellen für die Erstellung eines Gesamtlagebildes weiter. So werden die Truppen der Zukunft ganz nebenbei auch zu Sensoren, die ihre Ohren immer, überall und für alles offen halten.